Es gibt Tage, an denen geht alles schief, was schiefgehen kann. Holm hat darüber eine Geschichte geschrieben...
Eine Kurzgeschichte vonHolm Kräusche
„Das kann nicht sein!“ Ungläubig schaut sie über den Tresen. Mit zitternden Beinen lehnt sie sich gegen das Holz.
„Die Frist ist gestern verstrichen, tut mir leid, da kann man nichts machen“, sagt die Frau auf der anderen Seite. Verstrichen. Aus. Vorbei. Die Worte hallen durch ihren Kopf.
„Aber…“, stammelt sie.
„Es tut mir leid, Frau…“, ein kurzer Blick auf ihren PC-Bildschirm, „Lembke. Sie können die Prüfungsleistung im nächsten Semester erneut erbringen.“
Unfähig etwas darauf zu antworten, starrt sie in das Gesicht, das ihr gerade dreist lächelnd ihr Versagen unter die Nase reibt. Scham zuckt durch ihren Körper, unter diesem Blick, missbilligend und resigniert. Das schwarze Loch tut sich auf unter ihr und sie hat das Gefühl zu fallen.
„Ich komme gerade aus meiner dritten Prüfung diese Woche, ich habe einen Monat an dieser bescheuerten Ausarbeitung gesessen und sie erklären mir, dass sie mich durchfallen lassen, weil ich hier ein paar Stunden zu spät erscheine?“
„Beruhigen Sie sich bitte. So sind die Regeln. Gibt es sonst noch etwas womit ich Ihnen helfen kann?“
„Nehmen Sie doch meine Ausarbeitung an.“
„Nein. Dann einen schönen Tag. Ruhen Sie sich aus, Sie sehen überarbeitet aus.“
Blöde Schnepfe. Das weiß sie selbst. Ihr Freund kommt auch nur noch zum Schlafen vorbei, die letzten Monate sind der Horror gewesen. Geräuschvoll zieht sie die Nase hoch, widmet der Frau einen unglücklichen Blick und schlurft aus der Tür, ihre Tasche und Ausarbeitung in der Hand.
Draußen scheint die Sonne. Überhaupt scheint die Sonne schon seit Wochen. Und sie sitzt nur drinnen herum und müht sich mit Hausarbeiten und Prüfungen. Aber so war studieren eben. Niedergeschlagen betrachtet sie die vorbeieilenden Studenten. Eine zusätzliche Arbeit im nächsten Semester wäre kein Problem, aber sie ist schon durch eine Prüfung gefallen, das zweite Mal.
Da ist es wieder, dieses Gefühl zu fallen. Schnell setzt sie sich auf die Stufen vor dem Gebäude. Ein paar Stunden zu spät. Aber wie hätte sie das machen sollen, mit der Prüfung heute um 8 Uhr? Eher abgeben, hätte sie können.
Kopfschüttelnd erhebt sie sich. So viel gibt es noch zu tun, sie sollte nach Hause und die nächste Ausarbeitung anfangen. Noch einmal durchfallen konnte sie sich beim besten Willen nicht leisten.
Sie zerrt das Telefon aus ihrer Hosentasche und schreibt dem Chef eine Nachricht. Fühle mich nicht gut, melde mich krank für heute. Er würde das verstehen.
Vor dem Bahnfenster zieht die Stadt vorbei. Sie fühlt sich müde. Überhaupt ist sie seit Wochen müde, immer nur zu funktionieren raubt ihr die Kraft. Sie sieht den Wagon hinunter. Es ist kurz nach zehn und noch immer fahren Menschen zur Arbeit. Ihre Gesichter kommen Tina ausdruckslos vor. Als hätte jemand die Freude weggewischt. Ob ihr Gesicht auch so aussieht? Wollte sie in einem Jahr auch so ein Zombie sein, auf dem Weg zu einer gut bezahlten Stelle? Dafür müsste sie aber erst ihre Prüfungen schaffen, aber das würde schon werden, Versagen ist keine Option. Schritt für Schritt würde sie es machen und sich dann eine Arbeit suchen, die Spaß machte. So schlecht findet sie Studieren eigentlich nicht. Sie darf lernen, umsonst Bahnfahren und ihre Zeit frei einteilen.
Die Sonne fällt ihr ins Gesicht. Wie gerne wäre sie jetzt draußen im Park, würde sich anflirten lassen von hübschen Männern und sie dann lachend wegschicken.
Sie ist dankbar für ihren Freund, kennt ihn vom Anfang des Studiums. Er nimmt ihr den Druck des Suchens. Vor zwei Jahren hatte sie die Nächte noch durchgefeiert, schließlich war sie eine atemberaubende junge Frau, sie wollte etwas vom Leben haben. Heute geht sie erschöpft vor zwölf ins Bett. Die müde und ungeschminkte Version ihrer selbst starrt sie aus der Scheibe an. Genauso eine, die nur zuhause hockt und früh schlafen geht. Sie bemerkt ihre stumpf aussehenden Haare, neuerdings fast immer im Pferdeschwanz zusammengebunden. Zum Glück hat sie ihren Freund, wer würde schon diese kaputte Version von ihr ansprechen? Einkaufen könnte sie jetzt noch und abends für sie beide kochen. Zumindest etwas Schönes heute.
Der Briefkasten quillt über vor Zeug. Keine Lust gehabt, vorher reinzusehen. Was sollte da schon kommen? Rechnungen und offizielle Du-musst-das-tun-sonst-bestrafen-wir-dich-Schreiben. Sie stellt ihre Einkäufe ab, dreht den Schlüssel und versucht die Flut an bunten Blättern aufzufangen. Eigentlich wollte sie schon lange ein Keine-Werbung-Schild an den Kasten bringen.
Sie sammelt die Blätter vom Boden und stopft sie in den Kasten neben ihrem. Fünf Briefe bleiben. Die Absender verheißen Schlechtes. Vermieter, Arbeit, Bank, Stadt und Wasserwerke.
Eine Karte fällt aus den Briefen. Sie greift danach. Zu langsam. Unaufmerksames Ding.
Sie hebt die Karte von den Fliesen und überfliegt den Text. Alte Schulfreundin. Lebt in Singapur, arbeitet wenig, verdient viel und schreibt ihr immer Karten von ausgedehnten Urlauben. Unzufrieden wirft sie das Stück Pappe zurück in den Briefkasten und stapft die Treppe nach oben.
Mit den Zähnen und ihrer freien Hand reißt sie am Vermieter-Brief. Bestimmt irgendwas Wichtiges. Anstatt sich reibungslos zu öffnen, reißt das Papier einmal in der Mitte durch. Toll. Offen ist er trotzdem.
Sie schließt die Tür auf und lässt die Einkäufe im Flur stehen. Das hat Zeit bis später. Sie zerrt die beiden Papierhälften aus den Umschlagresten und fügt sie zusammen. „Sehr geehrte Frau Lembke…“
Sie überfliegt die Zeilen und ein Stich zuckt durch ihren Bauch. Kalt und vernichtend.
Die Miete soll zwei Monate nicht überwiesen worden sein. Seit einiger Zeit vermeidet sie auf ihr Konto zu schauen, sie weiß, dass sie immer nur knapp ins Plus kommt. Ihre Beine fühlen sich wie Butter an, also setzt sie sich und lehnt sich mit dem Rücken gegen die haltgebende Wand.
Der Brief von der Arbeit würde Klarheit bringen. Vorsichtiger als zuvor öffnet sie ihn.
Das ist zu wenig. Das kann nicht stimmen. Klar, ist sie ein paar Tage weniger arbeiten gewesen in letzter Zeit, aber das sollte eigentlich keine großen Probleme bereitet haben? Gelähmt lässt sie die Zettel fallen. Die anderen Briefe würde sie besser gar nicht erst aufmachen. Mühsam stemmt sie sich hoch. Was ist das für ein Leben? Was wollen die nur alle? Geld, immer nur Geld. Sogar die Uni will Geld und tritt ihr dann immer wieder in den Hintern. Wie sollte sie das alles schaffen? Sie hatte längst keine Kraft mehr. Die Gedanken zucken durch ihren Kopf. Du musst…. Nein, besser erst… Aber lernen? Das Wirrwarr in ihrem Schädel kommt nicht zur Ruhe. Immer verdrängt ein neuer Gedanke den letzten. Was ist wichtig? Wo soll sie anfangen? Wieder stürzt sie in das Loch. Schon seit Monaten hetzt sie von einer Notwendigkeit zu nächsten. Dieser Stress frisst sie auf.
Im Wohnzimmer sinkt sie auf ihre Couch und starrt ins Leere. Und nun? Kein Geld, keine Noten, keine Kraft mehr. Auf dem Tisch liegt ein Flyer. „Stress mich nicht!“ steht da in großen weißen Buchstaben. Irgendwann hatte sie den eingesteckt, in der Mensa letztens. Hilfe mit Prüfungsstress verspricht ihr das Papier. Braucht sie so was? Ihr Telefon vibriert. Vielleicht eine Nachricht von ihrem Freund? Eilig kramt sie es aus ihrer Hosentasche. Nur die Studiengruppe. Wie die Prüfung gewesen sei, will eine wissen. Kurz hält sie inne und starrt auf das Display. Dann schreibt sie: „Scheiße. Wie auch sonst? Ich hab kein Bock mehr.“
Das Telefon vibriert. Die Arbeit.
„Ja?“
„Tina, was ist los mit dir? Du kannst dich nicht ständig abmelden. Wir brauchen dich hier. So kann das nicht weitergehen.“
Sie schweigt drei volle Sekunden lang. Schluss!
„Das wird aber noch so weitergehen. Sollte dir klar sein, wenn du eine Studentin einstellst. Ich ertrinke in Arbeit und wenn ich mein Studium nicht schaffe, dann… Keine Ahnung!“
„Hmm. Also, aber…“
„Ich muss hier noch drei Arbeiten vorbereiten. Ich melde mich sobald ich Zeit hab. Bitte versteh das.“
Sie legt auf. Diese Trauerkloßeinstellung von vorhin passt gar nicht zu ihr. Das musste aufhören. Wenn das Leben versucht dich klein zu machen, musst du eben stärker sein. Sie startet ihren Laptop und loggt sich in ihren Bankaccount ein. Wenig sieht sie da, aber ausreichend. Wahrscheinlich war nur der Dispo zur Mietfälligkeit ausgereizt. Sie schreibt eine Überweisung für zwei Mieten und tippt danach eine E-Mail an die Verwaltung, ob es ihnen nicht möglich wäre den Abbuchungstermin umzulegen. Sonst werde das jeden Monat so laufen. Mit der TAN die auf ihrem Telefon eintrifft, sieht sie eine Nachricht von ihrem Freund. Wir müssen reden steht da. Wie in Hollywood, so ein Blödsinn, denkt sie sich. Reden ist gut, dann würde sie ihn fragen, wo er sich neuerdings immer herumtrieb. Adrenalin flutet durch ihren Körper. Wenn sie schon Stress hatte, würde sie den sinnvoll einsetzen.
Sinnvolle Stunden später zeigt ihr Telefon 16:34. Sie zieht Bilanz. Der Stress hatte sie beflügelt und Konzentration gebracht. Lange aufgeschobene Emails waren geschrieben, eine Ausarbeitung fast fertig und sie hatte Ordnung in Finanzen gebracht. So sollte es laufen.
Aufgekratzt hüpft sie vom Schreibtisch aufs Sofa. Das reichte nun. Stillsitzen kann sie jetzt nicht, Kaffee und Stress tun ihren Dienst. Ihre Hände zittern, aber das ist ihr egal. Die letzten Stunden sind ungemein produktiv verlaufen. Eigentlich könnte sie nun noch für die bevorstehende Prüfung lernen, aber die Gedanken zucken wieder ablenkend durch ihren Kopf. Außerdem ist ihr schlecht. Jetzt zu lernen, wäre Quatsch. Im Bad hat sie zwar noch Ritalin, das würde ihrer Konzentration helfen, aber sie hat keine Lust mehr auf Arbeiten. Außerdem müsste sie kochen, schließlich will sie ihren Freund später überraschen.
Beschwingt springt sie auf, greift ihre Einkäufe aus dem Flur und hüpft in die Küche. Soviel hat sie heute schon geschafft und nun würde sie noch ein gutes Essen zaubern. Kochen ist zwar keine ihrer ausgewiesenen Stärken, aber so schwer würde das schon nicht sein. Sie kippt die Einkäufe aus dem Stoffbeutel auf den Tisch. Paprika, Büchsen und Zwiebeln purzeln über die Holzplatte. Die Eier sieht sie zu spät. Zusammen mit der Pappbox fliegen sie vom Tisch. Sie hört das Knacken und stürzt hinterher.
„Mist!“, ruft sie und sucht nach einem Küchenpapier, während sich der Inhalt der Pappbox über den Boden verteilt. Total egal, brauchte sie eh nicht fürs Essen. Sie tunkt die Eier auf und wirft alles in den Mülleimer. Ein schneller Blick aufs Smartphone, irgendeine Nachricht hat sie schon wieder bekommen. Ihr Kopf quittiert die schnelle Bewegung mit einem stechenden Schmerz. Das ist wohl das Kaffeeloch. Sie greift nach dem Telefon und liest die Nachricht. Von einer ihrer besten Freundinnen. Wo sie sei, will sie wissen. Wie, wo sie ist? Zuhause natürlich. Das schreibt sie ihr auch.
„Hast du vergessen, dass wir verabredet waren?“, leuchtet auf ihrem Display mit einem Smilie mit weit aufgerissenen Augen. Tina schauert. So ein Ärger, vergisst sie jetzt auch noch Termine? Wegen Stress? Sie tippt eine kleinlaute Nachricht und verspricht, dass sie es ja nachholen könnten. Mit einem Mal fühlt sie sich gar nicht mehr so selbstbewusst und beschwingt. Während sie Zwiebeln schneidet, überlegt sie, ob es nicht Zeit für eine Beratung wäre. Wenn das so weiter ginge, hätte sie ihr Leben bald nicht mehr im Griff. Sie wirft einen Blick auf ihren Block, der im Wohnzimmer liegt. Vorhin ist sie auf der Website von dem Flyer gewesen, die bieten Chat für Problemfälle an. Vielleicht sollte sie mal…
Ruckartig legt sie das Messer zur Seite. Sie ist schon wieder viel zu sehr in Gedanken! Das muss aufhören, als nächstes wären es nicht mehr Eier, sondern ihr Finger. Außerdem bringt sie das Nachdenken gerade nicht weiter, das Essen hat Vorrang.
Sie zerkleinert das Gemüse und kippt es in den Topf. Zischend nimmt er seine Arbeit auf. Sie rührt und hört die Türklingel. Erschreckt macht sie einen Satz, so früh hat sie nicht mit Robert gerechnet. Sie rennt in den Flur und drückt den Öffner. Nicht mal im Bad ist sie gewesen. Ein Blick in den Garderobenspiegel. Sie streicht sich ein paar Strähnen aus der Stirn. Nicht gerade ansehnlich, in ihren Wohlfühlklamotten, mit ramponiertem Makeup und diesen Haaren. Sie schüttelt den Kopf, ihr Freund kennt sie eh in allen Lebenslagen.
Er schlurft die Treppe hoch und wirft ihr einen unsicheren Blick zu. So schlecht konnte sie nun aber auch nicht aussehen.
„Hallo Tina“, sagt er und geht an ihr vorbei durch die Tür.
„Hallo Robert“, sagt sie und wundert sich über die fehlende Begrüßung. Sie fällt ihm von hinten um den Hals und schlägt die Arme um seinen Nacken. Tief atmet sie seinen Geruch ein. Männlich, vertraut. Doch da ist auch irgendetwas anderes. Sie gibt ihm einen Kuss auf die nackte Haut. Er steht einfach nur steif da und wartet. Verwirrt lässt sie von ihm ab und geht um ihn herum.
„Was ist mit dir?“, fragt sie.
„Setz dich bitte.“
Sie staunt. Robert macht nie viele Worte, aber er verteilt ebenso wenige Befehle.
„Äh… Gut. Komm in die Küche, ich mache uns gerade Essen. Mein Tag war echt zum Heulen, morgens hab ich ja diese Prüfung geschrieben, du weißt das sicher noch…“ Plappernd eilt sie in die Küche, Robert folgt ihr und setzt sich.
„Das dauert aber noch eine Weile“, sagt Tina.
„Ich habe keinen Hunger. Bitte setz dich, ich muss dir was sagen.“
Sie zieht das brutzelnde Gemüse von der Platte und setzt sich Robert gegenüber. Das entwickelte sich komisch. Eigentlich konnte er bei so einem Theater nur eines von ihr wollen.
„Du willst bestimmt mit mir darüber sprechen, dass ich in letzter Zeit nicht so viel Zeit für uns hatte…“, beginnt sie.
„Nein. Bitte hör zu. Ich möchte dir was sagen.“
Tina klappt den Mund überrumpelt wieder zu.
„Also du hast schon recht. Aber das ist es nicht nur. Du hast keine Zeit, du arbeitest zu viel, du bist sogar mit deinen Gedanken woanders, wenn wir uns treffen. Und wenn wir mal ehrlich sind, schau dich mal an, du achtest kein Stück auf dich und der Sex ist auch nicht mehr dasselbe wie früher.“
Da ist es wieder das Loch. Tief und brodelnd tut es sich unter ihr auf und reißt an ihren Eingeweiden. Tinas Augen werden groß. Worauf will er hinaus? Da blieb nur eine Möglichkeit.
„So kann das nicht weitergehen Tina. Du machst Zuviel. Das kann kein normaler Mensch schaffen.“
Was redete er da nur? Was machte sie Zuviel? Arbeiten? Studieren? Lernen? Ihre Zukunft bestimmen? Die Gedanken kippen in das schwarze Loch unter ihren Füßen.
„Aber… Was willst du…“, stammelt sie.
„Ich will es beenden Tina. Du hast keine Zeit für einen Freund wie mich und ich hab da auch keine Lust mehr zu.“
Ihr Körper sackt zusammen. Sie hat mit Vielem gerechnet, aber nicht damit. Schmerz zuckt ihr durch den Körper.
„Nein. Das kannst du nicht machen. Sag dass das nicht wahr ist!“ Sie sieht in sein unbewegtes Gesicht. Konnte er nicht wenigstens eine Reaktion zeigen? Ganz offenbar interessierte ihn dass überhaupt nicht und er war nur gekommen um seinen Text aufzusagen.
„Werde ich da vielleicht auch nochmal gefragt?“
„Tina…“
Trauer rollt wie ein Tsunami heran und schickt sich an sie zu überspülen. Robert ist der letzte rettende Anker in ihrem Leben. Bei ihm fühlt sie sich geborgen und sicher. Das kann er ihr nicht antun, nicht nach diesem Tag.
„Weißt du was heute alles schief gegangen ist? Was willst du denn? Ich kann mich ändern!“, sagt sie, schniefend und nahe am Zusammenbruch.
„Ich habe jemanden kennen gelernt, Tina.“
Es klickt in ihrem Kopf. Das Adrenalin flutet sie einmal mehr. Wie so oft heute. Ist das der Stress? Sie betrachtet diese Frage distanziert von sich selbst. Plötzlich ist es ihr egal was der Kerl da vor sich hin redet. Wozu braucht sie einen wie den? Einen Mann glücklich zu machen, ist nicht ihre Priorität.
„Halt den Mund“, sagt sie, „Du bist ein blöder Arsch.“ Sie sieht es ganz klar, die seltenen Nachrichten in den letzten Wochen, sein Unwillen mit ihr zu schlafen, alles passt auf einmal ins Bild. Eine kennen gelernt hat er also. Sie ist mitten in der Situation. Fühlt sich nach einem Flow-Effekt an, denkt sie sich. Passiert unter Stress schon mal. Ganz hilfreich ist er plötzlich, wie eine Ausbildung in der letzten Zeit.
Nun ist es Robert der schweigt.
„Okay“, sagt er dann und steht auf, „Dann geh ich jetzt mal. Alles Gute und so. Das mit den Sachen können wir die Tage machen. Kein Stress.“
Kein Stress? „Kein Stress? Halt bloß die Fresse du…“ Ihr fällt keine angemessene Beleidigung ein. „Ich hab seit Monaten Stress und soll jetzt keinen mehr haben? Raus aus meiner Wohnung!“
Sie sagt das ganz ruhig, so eine Situation ist jetzt nichts Neues mehr für sie. Robert geht ohne ein Wort und sie schließt die Tür hinter ihm. Wieder klickt es in ihrem Kopf und plötzlich werden ihre Beine zu Butter. Sie sackt im Flur zusammen. Weinend rollt sie auf den Rücken. Alles war zunichte. Nicht mal einer wie Robert wollte sie. Mühsam kriecht sie ins Wohnzimmer. Sie braucht Hilfe. Und zwar jetzt. Sie zerrt ihren Laptop vom Tisch und öffnet die letzte besuchte Seite.