Wer studiert weiß: Es ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Vor allem die starken Belastungen durch Prüfungen oder Abschlussarbeiten können das eigene Leben gehörig aus der Bahn werfen. Unsere Gastautorin schildert ihre persönliche Geschichte - vom Scheitern und Wiederaufstehen.
Beginnen wir am 23.Septemer 2016. Nach meinem italienischen Spätsommerurlaub komme ich zurück in die Uni. Kurse habe ich die meisten hinter mich gebracht, nun heißt es Abschlussarbeit schreiben. Betreuer*innen habe ich gefunden, grobes Thema auch - jetzt liegt es an mir.
Let the show begin
Als Arbeitsort wähle ich die Bibliothek meiner Uni. Hier möchte ich in den nächsten vier Monaten gerne morgens um 9.00 Uhr mit der Arbeit anfangen, mittags mit Freund*innen in der Mensa schlemmen und mich dann gegen Nachmittag mit gutem Gewissen in den Feierabend verabschieden. Wochenende gerne frei. So der Plan.
Der September vergeht und außer einem super Deckblatt und ein wenig Literaturrecherche habe ich nicht viel geschafft. Im Oktober treffe ich mit meiner Betreuerin. Wir besprechen meine Gliederung, grenzen das Thema ein, schauen, welche Methodik sich eignet. Ich recherchiere weiter, besorge mir in anderen Bibliotheken Fachliteratur, schreibe Definitionen und meine Lesezeichenleiste beginnt überzuquellen.
Im Dezember dann das Kolloquium - muss man bei uns machen. Gemeinsam mit anderen Kommilliton*innen präsentiere ich meinen Betreuer*innen den Zwischenstand meiner Arbeit. Mehr schlecht, als recht schummel’ ich mich durch den Vormittag. Die Worte meiner Betreuerin habe ich heute noch in meinen Ohren: „Sie müssen jetzt ins Schreiben kommen. Schicken mir Sie doch gerne bis Mittwoch Ihren Fragenkatalog“.
Der Mittwoch kommt und ich schicke nichts. Keinen Fragenkatalog, keine Entschuldigung, keine gute Ausrede. Im Nachhinein kann ich sagen, hier traf das Schiff auf den Eisberg. Ich weiß noch, wie ich vor meinem Laptop sitze und mit mir hadere. Einerseits möchte ich die selbstständige Studentin sein, die ihren Mist alleine gebacken bekommt. Andererseits bin ich gerne verbindlich, mag meine Betreuer*innen und möchte sie nicht enttäuschen. Ich lasse die beiden unwissend und verabschiede mich in die Weihnachtsferien.
Same procedure as every year
Dann kommt Weihnachten, ich lasse mein Laptop in meiner WG und fahre zu meiner Familie. Am Tisch erzähle ich: “... ja gerade Schreibblockade, aber wenn ich wieder zuhause bin, geht es bestimmt weiter, wird schon irgendwie“. Am 27.12. fahre ich zurück, am 28.12 betrete ich früh morgens die Uni und möchte beginnen. Aber es klappt nicht. Ich springe von Tab zu Tab, schaue ab und zu auf meinen immer noch unfertigen Fragenkatalog, treffe mich mit einer Freundin zum Mittag. Mache dann früher Feierabend. Alles beim Alten. Ich krieg’ den Arsch nicht hoch.
Im neuen Jahre fahre ich zu meiner Hausärztin lasse mich krankschreiben um mein Abgabedatum zu verschieben. Ich erzähle ihr von meiner Arbeit und meinem nicht vorankommen, und dass ich insgesamt gerade ganz gut durchhänge. Sie kennt mich schon länger. Früher war ich schon mal wegen Schlafstörungen bei ihr. Ich beschreibe ihr, was bei mir in den letzten Monaten so passiert ist:
Exzessiver Konsum: Alkohol, Speed, MDMA, gute Laune ertanzen, die Nacht zum Tag machen. Und danach den Tag zur Nacht mit viel Zeit im Bett: Schlafen, Essen, Netflixen. Im Alltag, nach außen, versuche ich natürlich den Schein zu wahren. Innerlich geht es mir beschissen. Ich erkenne mich selbst nicht wieder, spüre keine Lebenslust, überlege wie ich dem ganzen Mist entkommen kann. Wie es wäre nicht mehr da zu sein.
Soziale Kontakte habe ich auf den Partys, sonst bin ich eher eine Einzelgängerin geworden. Während ich meiner Ärztin das alles so erzähle, passiert etwas, was sicherlich seit einem Jahr nicht mehr passiert ist: Ich weine, fange langsam an und es wird immer mehr. Ich schäme mich. Habe in den Ohren, wie Freunde sagen, jetzt reiß dich doch mal zusammen. So schwer kann das doch nicht sein. Doch, für mich ist es mega schwer. Ich komme nicht voran.
Meine Ärztin verschreibt mir (ausnahmsweise, denn das machen sonst nur Psychiater*innen) ein Antidepressivum, rät mir zu einer Therapie und will mich in zwei Wochen wiedersehen. Ich verlasse die Praxis und fühle mich wie ein Haufen Elend. Ich, die immer gute Laune hat, für jeden Spaß zu haben ist, ich nehme nun ein Antidepressivum?
Schöner wieder Aufstehen
Ja, ich nehme ein Antidepressivum und das nun seit mehr als sechs Monaten. Einen Therapieplatz habe ich seit Mai und heute kann ich sagen, es geht mir besser. Ich bin wieder am Leben. Meinen Alltag regel’ ich so langsam wieder. Ich stehe morgens auf und bleibe nicht liegen. Ich fahre in die Uni, recherchiere für meine „neue“ Abschlussarbeit. Die alte habe ich als Fehlversuch gelten lassen. Treffen mit meinen Freund*innen sind für mich wieder eine Bereicherung und kein „Scheiße, ich muss erklären, warum ich es wieder nicht hinbekomme“.
Auf Partys erkenne ich mein Limit. Alkohol nur noch in Maßen, bei allen anderen Drogen habe ich erkannt, dass meine Psyche dafür einfach zu instabil ist. Ich kann da bei meinen Freund*innen nicht mithalten und das ist wohl auch besser so. Mit so einer hippen Mate habe ich es auch schon durch die ein oder andere Nacht geschafft und bin dann im Morgengrauen nüchtern und zufrieden nach hause spaziert.
Memo an mich selbst: Einmal in der Woche Feierei ist okay, danach kippt es schnell und ich finde kein Ende.
Mit meinen Eltern habe ich vor zwei Monaten auch endlich Klartext geredet. Das Telefonat mit meinem Vater, war für mich eines der härtesten seit langem. 50 Minuten lang, versuche ich ehrlich und mutig zu sein: „ Ich weiß auch nicht, wieso ich es nicht geschafft habe die Arbeit zu schreiben, habe aber nun gelernt es zu akzeptieren und blicke mit Optimismus in die Zukunft ... es tut mir leid Papa“. Mit meiner Mutter läuft es ein wenig anders. Sie versteht mich mehr. Sorgt sich, wie eine jede Mutter. Will nur mein Bestes.
„Ne da kann ich nicht, da habe ich Therapie“
Mit meiner Therapeutin spreche ich über so vieles ... Kindheit, Schulzeit, ähnliche dunkle Phasen, Drogenkonsum, Erwachsen werden. Sie spiegelt mich und ich merke mit ihr erstmalig in meinem Leben, wie perfektionistisch ich an gewisse Sachen rangehe und wie sehr ich mir damit im Weg stehen kann. Hätte man mich vor einem Jahr gefragt, ob ich eine Perfektionistin bin, hätte ich laut gelacht und auf meine zweistellige Semesterzahl verwiesen. Heute weiß ich, dass das Eine nichts mit dem Anderen zu tun hat. Zumindest nicht für mich. Ich habe (hatte) einen unfassbaren Anspruch an mich selbst. Möchte anderen gerne beweisen, dass ich Sachen, wenn ich sie mache, richtig (gut) mache.
Gerade lerne ich durch die Therapie wieder meine Balance zu finden, mir meine Aufgaben so zu gestalten, dass ich sie schaffe und nicht aufgebe oder anfange alles schleifen zu lassen. Ehrlich mit Anderen zu kommunizieren, meine Schwächen zuzugeben. „Nein, das kann ich nicht“, ein Satz, der mir komplett neu ist, wird nun Teil meines Wortschatzes.
Wenn ich richtig gut drauf bin, sage ich bei Einladungen, die ich ablehnen muss „Ne da kann ich nicht, da habe ich Therapie“. Ich möchte offen mit meinen Erfahrungen umgehen. Das Wort Depression ist so ein krasses und sorgt manchmal für so krasse Gesichter. Ich versuche da ein wenig was zu ändern, Stichwort enttabuisieren. Mein Psychiater (den besuche ich nun für das Rezept für das Antidepressivum, denn Psychotherapeut*innen dürfen keine Tabletten verschreiben) sagte mal so schön: „Wenn Sie sich das Bein brechen und sich schlecht fühlen, gehen Sie ja auch zum Arzt.“
Anfang des Monats habe ich mit meinen Freund*innen meinen 25. Geburtstag gefeiert. Quarter life crisis - take this.